Quelle: Plakat: Studio Michael Müller
Würzburg, Museum im Kulturspeicher - Sa. 26. November 2022
Michael Müller: "Die Errettung des Bösen"
Teil I: An- und abwesende Schatten; Teil II: Vergleichen, >, =
Die Errettung des Bösen. Eine Ausstellung von Michael Müller
Unter dem Obertitel Die Errettung des Bösen beschäftigt sich die von Michael Müller kuratierte Ausstellung in zwei Ausstellungskapiteln in differenzierter und teils provozierender Weise mit dem Wesen des Bösen, seiner Präsenz und Negation in Geschichte und Gesellschaft und zieht dafür neben eigenen Arbeiten sowohl historische als auch zeitgenössische Positionen heran. Insbesondere im ersten Teil steht die Gründung der Würzburger Städtischen Sammlung in der Zeit des Nationalsozialismus im Fokus von Müllers Interesse.
Das erste Ausstellungskapitel, An- und abwesende Schatten, stellt Fragen nach der ‚Kontamination‘ von Kunstwerken: Damit kann sowohl eine ideologische Vereinnahmung, ein tendenziöser politisch-propagandistischer Ansatz oder die Zensur von vermeintlich wertloser, in der Terminologie des Nationalsozialismus ‚entarteter‘ Kunst gemeint sein. Gezeigt werden unter anderem Arbeiten von Künstler*innen, die entweder in der Ausstellung Entartete Kunst oder der Großen Deutschen Kunstausstellung zu sehen waren. Ursprünglich getrennt, werden sie hier gemeinsam nebeneinander präsentiert und beleuchten auf diese Weise die generelle Frage nach dem Umgang mit ‚kontaminierter‘ Kunst in Museen und deren Sammlungen. Im zweiten Ausstellungskapitel steht die Methode des Vergleichens im Zentrum, die seit dem 19. Jahrhundert die dominante Verfahrensweise der wissenschaftlichen Forschung ist. Müller stellt besonders die ethische Dimension des scheinbar objektiven, neutralen wissenschaftlichen Anspruches des Vergleichens in den Vordergrund, das, auf den Menschen als untersuchtes Objekt angewendet, zu einem politisch-gesellschaftlich wirksamen Instrument werden kann.
Mit Werken von: Albrecht Becker, Ferdinand Brod, Edison Company, Hanns Heinz Ewers, Simon Fujiwara, Hermann Gradl, Willi Greiner, Hans Josephsohn, Paul Kinsler, Wilhelm Lehmbruck, Hedwig Maria Ley, Fabio Mauri, Michael Müller, Gerhard Richter, Emy Roeder, Elsa Sahal, Ferdinand Spiegel, Andy Warhol und Friedrich Watzka
Michael Müller: Mögliche und unmögliche Bilder
Zeitgleich mit der Ausstellung Die Errettung des Bösen präsentiert das Museum im Kulturspeicher die Ausstellung Michael Müller: Mögliche und unmögliche Bilder, die eine intensive künstlerische Auseinandersetzung Müllers mit dem Birkenau-Zyklus (2014) Gerhard Richters ist. In der zentralen Arbeit Mögliche und unmögliche Bilder #I (2022) dekonstruiert Müller mit malerischen Mitteln Richters Gemälde, die auf den einzigen vier überlieferten Fotografien basieren, die die Vernichtung der europäischen Juden in dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau direkt und unmittelbar dokumentieren, und stellt grundlegende Fragen nach den Darstellungsmöglichkeiten und Grenzen von Kunstwerken.
„Ich denke, generell gibt es kein Bild, das man nicht malen kann“, antwortet Gerhard Richter 2001 auf die Frage, ob es möglich sei, Gemälde nach Fotografien der industriellen Vernichtung von Menschen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern während des Holocausts zu schaffen. In seiner 16-teiligen Arbeit führt Müller die Ausgangsfrage Richters, ob alles prinzipiell mal- bzw. zeigbar ist, weiter, indem er sich der Ästhetik Richters bedient, um zu untersuchen, was unterschiedliche Kunstwerke erreichen können. Zwar könne sich Kunst, so Müller, allem widmen und jeden Themas annehmen, alles malen und zeigen, aber kann sie auch alles erreichen? Ist es möglich, ein empathisches Bild des Holocausts zu geben?
Für seine Untersuchung legt Müller die Malschichten von Richters Birkenau-Bildern frei und befragt sie nach ihrer jeweiligen Aussagekraft: Als untere, später verdeckte Schicht die malerischen figurativen Reproduktionen der vier aus dem KZ Auschwitz-Birkenau stammenden Fotografien des Vernichtungsprozesses an den europäischen Juden – ergänzt um die für Richter typische Wischtechnik, die das Dargestellte verschleiert und es doch erkennen lässt. Die zweite Ebene bilden die abstrakten Übermalungen, die mit einem Rakel gezogenen Schlieren und Streifen – eine Technik, die den Zufall in den Malprozess einlässt und als unreproduzierbar gilt. Müller, dem die Reproduktion gelingt, zeigt, dass auch der vermeintliche Zufall und die Willkür Ergebnisse künstlerischer Entscheidungen sind. Nebeneinander an vier Wänden des Ausstellungsraums installiert, die Besucher*innen umgebend, bleibt es an ihnen zu entscheiden, was überhaupt mal- und zeigbar ist – was jedes der zu sehenden Werke auf individuelle Weise zeigt.
Müllers Antwort auf die Frage lautet indessen deutlich: Alles ist mal- und zeigbar, aber nichts stellt dar, was ethisch angemessen ist. Es gibt kein Bild, das universell und vollständig die Welt zeigt, sondern jedes Bild bezieht Position und muss sich zur Welt verhalten, zu dem, was es zeigt.
Über Michael Müller
In seinem Werk setzt sich der deutsch-britische Künstler Michael Müller (*1970 in Ingelheim am Rhein) mit der Ästhetik und Bildwerdung komplexer Gedankenprozesse auseinander, die er beständig nach ihrer sinnlichen Erfahrbarkeit und ihrem materiellen Gehalt befragt. Ausgehend von historischen Narrativen, wissenschaftlichen Methoden, gesellschaftlichen Normen sowie sprachlichen und numerischen Systemen entwickelt er eine künstlerische Praxis, die diese Systeme und Strukturen durch Variation, Transformation, Manipulation und fiktionalisierende Modifikation immer wieder an ihre Grenzen führt. Die entstehenden Abweichungen und Irritationen sowie der sich daraus ergebende Zweifel am Bestehenden und das Misstrauen gegenüber unhinterfragten Wahrheiten schaffen eine völlig eigenständige künstlerische Formensprache, die sich neben großformatigen Gemälden und Zeichnungen auch in Skulpturen, Installationen, Performances sowie in Müllers kuratorischer Praxis manifestiert.
Michael Müller lebt und arbeitet in Berlin. Von 2015 bis 2018 lehrte er als Professor an der Universität der Künste zu Berlin (UdK).